Integration in der Schweiz – vier autobiographisch geprägte Romane

Und jährlich grüsst das Murmeltier: Spielt die Schweizer Nationalmannschaft wieder einmal schlechter – wie das in den ersten EM-Spielen gegen Wales und Italien der Fall gewesen sein mag – gibt es Gesprächsstoff: und der dreht sich verlässlich auch immer wieder um die Secondos und ihr Verhalten. Sache Batthyany hat das gestörte Verhältnis zur Nati in einem Artikel in der NZZ am Sonntag analysiert. Darin schreibt er unter anderem:

«Wie sehr Einwandererkinder zu Projektionsflächen werden, ist vielen Schweizern nicht bewusst. Secondos werden zwar in der Regel mit offenen Armen begrüsst, stehen aber ihr Leben lang unter dem Zwang, dankbar sein zu müssen, hier leben zu dürfen. Diese Dankbarkeit gilt es abzustottern wie eine ewige Hypothek.»

Dieser Absatz hat mich an das wunderbare Buch von Irena Brežná «Die undankbare Fremde» (KiWi, 2012) erinnert. In diesem autobiographisch geprägten Roman schildert die Ich-Erzählerin ihre Immigrationsgeschichte, die anfangs von Widerstand, Aufmüpfigkeit, Rebellion und Unverständnis geprägt ist:

«Ich kam nicht hierher, um zu schweigen. Tolerant wie die Gäste waren, gewährten sie mir kurze Redefreiheit, aber statt über meine Geschichten zu staunen, zerhackten sie sie mit praktischen Lösungen. Sie wollten die Welt lösen, ich wollte sie bloss erzählen». (S. 29)

Im Verlaufe der Geschichte lernt sie immer mehr mit dem Spannungsfeld zwischen der Fremde, die zur Heimat wird, und der ursprünglichen Kultur umzugehen und sich darin zurecht zu finden:

«Dort irgendwo zwischen den Welten, ist ein Platz für mich. Er wurde nicht für mich reserviert, ich habe ihn mir errungen» (S. 131)

«Die undankbare Fremde» ist eine absolute Leseempfehlung, wenn man sich mit dem Alltag von Migrant*innen in der Schweiz beschäftigen will – aber längst nicht die Einzige. Es ist im Gegenteil bemerkenswert, wie viele Autor*innen mit Migrationshintergrund in der Schweiz fiktional, aber von der eigenen Biographie geprägt, darüber schreiben. Eine sehr subjektive Auswahl:

Melinda Nadj Abonji: Tauben fliegen auf (Wien, 2010)

Meral Kureyshi: Elefanten im Garten (Zürich, 2015) (im BVL auch als E-Book vorhanden):

Samira El-Maawi: In der Heimat meines Vaters riecht die Erde wie der Himmel (Basel, 2020)

El-Maawi betont dabei in einem ihrer ersten Abschnitte, das Integration eben nicht ein- sondern gegenseitig verläuft, wenn sie schreibt:

«Mein Vater riss seine Wurzeln in Sansibar heraus und pflanzte sie wieder in der Schweiz ein. Hier kann er weiterwachsen. „Langsam aber sicher verwurzelt er sich“, meint meine Mutter. „Wie lange geht es denn, bis sich eine Pflanze ganz verwurzelt?“, frage ich sie. „Das kommt auf die Pflanze drauf an.“ „Und auf die Erde“, fügt meine Schwester hinzu.» (S. 9)

Alle vier Bücher kreisen um Fragen von Heimat und Wurzeln, von Neuanfang und Integration, von Zerrissenheit und Anpassung – und geben einen vielfältigen Einblick in das Leben von Migrant*innn in der Schweiz

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